EM2020: Schwarz-rot-goldene Dominanz! [Finaltag]



Die Europameisterschaften in Warschau sind beendet und die beiden deutschen Nationaltrainer Jörg Roßkopf und Jie Schöpp dürften heute sehr zufrieden ins Bett gehen: Es wurde der erhoffte Medaillenregen für Deutschland, bei dem Timo Boll, Petrissa Solja, Shan Xiaona/Petrissa Solja und Dang Qiu/Nina Mittelham den europäischen Tischtennis-Thron bestiegen.

Zunächst stand das Turnier allerdings unter keinem guten Stern: Mit Timo Boll/Patrick Franziska und Petrissa Solja/Patrick Franziska schieden zwei absolute Topfavoriten auf Gold erschreckend früh aus. Im Verlauf der EM konnte die deutsche Delegation sich allerdings rehabilitieren – und wie! Mit Ausnahme von einem rätselhaft formschwachen Patrick Franziska.

Boll mit einem Titel für die Ewigkeit?

Bei den Herren blieb die denkbare Überraschung aus, nicht wenige hatten schließlich mit einem „Überraschungssieger“ Anton Källberg gerechnet und auch Darko Jorgic schien Anstalten zu machen, Favoriten zu stürzen. Ein Duell der beiden in der 2. Runde und ein 40-jähriger Odenwälder verhinderten dies jedoch.

Tatsächlich war es Timo Boll, der der Herren-Konkurrenz trotz einer schweren Auslosung seinen Stempel aufdrückte: Im Viertelfinale zeigte er dem in Topform befindlichen Anton Källberg seine Grenzen auf und präsentierte sich im Anschluss überrascht ob seiner eigenen Leistung. Etwas mehr Gegenwehr vermochte Mattias Falck zu leisten, aber am Ende zahlte sich Bolls Konstanz gegenüber Falcks Risikospiel aus.

Im deutschen Finale gegen Dimitrij Ovtcharov schließlich deutete alles auf ein 50:50-Duell hin: Zu viele Trainingsstunden haben die beiden gemeinsam absolviert. Nachdem Ovtcharov aber ein wenig besser in die Partie fand, konnte Boll den Takt angeben. Mit einer konzentrierten und souveränen Herangehensweise zog der 40-jährige seinem Freund Ovtcharov nach und nach den Zahn. Laut Boll passierten Ovtcharov „einfache Fehler“, wobei dies ebenso Bolls Platzierungen zu verdanken war. So marschierte Timo Boll stetig weiter in Richtung 4:1, wobei Ovtcharov mit vollem Risiko noch ein kleines Comeback im fünften Durchgang gelang. Zu gut war allerdings Bolls Aufschlagspiel und zu viele Chancen vergab „Dima“ in langen Rallyes, um die Partie zu drehen.

Mit dem achten Einzel-Titel zeigt sich entgegen Timo Bolls eigener Bewertung mehr und mehr, was für ein einzigartiger Spieler der Odenwälder ist. „Verrückt“ ist der Sieg demnach keinesfalls. Der 40-jährige Boll steht völlig zu Recht auf dem obersten Platz des Podiums – auch wenn er sich ehrlich überrascht gab. Er habe vor dem Turnier überhaupt nicht gewusst, wo er stehe.

Von außen betrachtet steht er seit seinem ersten Titel 2002 fraglos ganz oben und es scheint aktuell unwahrscheinlich, dass Bolls acht Einzel-Titel knackbar sind. Zum Vergleich: Dimitrij Ovtcharov kommt auf zwei Erfolge.

Überwältigte Solja nach zwei Titeln

Im zweiten deutschen Duell gab es einen noch etwas eindeutiger anmutenden Verlauf: Petrissa Solja ließ ihre Landsfrau Shan Xiaona und deren temporeiches Block-/Konter-Spiel kaum zur Entfaltung kommen. Sie kann sich damit trotz einer gewissen innereuropäischen Dominanz – man höre und staune – über ihren ersten EM-Einzeltitel jubeln. Dementsprechend emotional zeigte sich die Bundesligaspielerin nach dem 4:1 gegen Shan: „Ich kann es immer noch nicht glauben, werde das wahrscheinlich erst heute Abend realisieren“, gab sie nach der Partie zu Protokoll.

Dabei war dies schon der zweite Titel des Tages für die Langstädterin: Zusammen mit Shan hatte sie rund eine Stunde zuvor bereits jubeln können. Wenig überraschend setzte sich das Duo gegen Sabine Winter/Nina Mittelham durch, womit auch das Damen Doppel-Finale eine rein deutsche Angelegenheit war. Dabei muss man Winter/Mittelham allerdings ein sehr gutes Zeugnis ausstellen: Das Außenseiter-Duo lag sogar mit 2:1 in Front und forderte Solja/Shan ordentlich. Mit etwas Abstand dürfte die beiden demnach auch Silber freuen.

Sensation im Herren-Doppel!

Die Russen Maksim Grebnev/Lev Katsman dürften seit dem Nachmittag auf Wolke sieben schweben. Wirklich niemand hat vor dem Turnier mit den beiden Bad Homburger TTBL-Spielern gerechnet, bis sie sensationell Mattias Falck/Kristian Karlsson aus dem Turnier warfen. Wer dabei an ein „One-Hit-Wonder“ glaubte, wurde sogleich eines Besseren belehrt: Auch Benedikt Duda/Dang Qiu hatten gegen das Duett ebenso wenig zu bestellen wie die arrivierten Jakub Dyjas/Cedrick Nuytinck im Finale. Damit haben die Europameisterschaften in Warschau nach dem Ausscheiden der Topfavoriten Boll/Franziska doch noch ihre große Sensation erlebt.

Text: David Rieß

Fotos: ETTU