TTBL: Ein Tag für die Geschichtsbücher: Erster Bundesliga-Sieg des TTC OE Bad Homburg



Den Nikolaustag 2020 wird man im eher dörflichen Bad Homburger Stadtteil Ober-Erlenbach so schnell nicht vergessen. Der Nikolaus hatte nämlich zwei satte Punkte im Rucksack für den Aufsteiger. Mit 3:2 hat der TTC OE Bad Homburg den Kellerkrimi gegen den TTC Zugbrücke Grenzau gewonnen und damit den historischen ersten Sieg der Vereinsgeschichte in der Tischtennis Bundesliga (TTBL) geholt und zudem zwei extrem wichtige Punkte im Kampf um den Klassenerhalt eingefahren.

Katsman/Grebnev holen die Kastanien aus dem Feuer

Matchwinner für Bad Homburg wurden Lev Katsman, der noch kein Einzel in dieser Saison gewonnen hat (0:9) und Maksim Grebnev. Im Doppel zeigten sich die beiden Talente aus Russland offensiv, emotional und nahezu perfekt abgestimmt und nutzten schließlich ihren dritten und letzten Matchball gegen Cristian Pletea/Aleksandar Karakasevic zum 3:0 (11:6, 11:8, 11:9) und damit dem auch ohne Fans im „Wingert Dome“ umjubelten historischen Sieg.

Ganz so überraschend kam der Erfolg des jungen Russen-Duos bei seinem ersten Einsatz in der TTBL aber doch nicht, wie etwa auf der TTBL-Webseite oder auch in verschiedenen Tageszeitungen im Rhein-Main-Gebiet gemutmaßt wurde. Zwar ist Katsman 19 und sein Doppelpartner sogar erst 18, doch beide haben schon oft international zusammengespielt und gelten sogar bereits auf der World Tour als gefährliches, bestens harmonierendes Gespann. Katsman/Grebnev hatten im Übrigen bei der Junioren-WM 2018 die Silbermedaille im Doppel gewonnen. Das schafft man nicht eben mal so im Vorbeigehen, dazu muss man schon eine Topformation bilden. Dass die beiden nicht eine, sondern die Bad Homburger Doppel-Option sind, sollte spätestens am Sonntag jedem klar geworden sein. Bereits im Pokal-Achtelfinale beim ansonsten wenig schmeichelhaften 3:2 gegen den TV Hilpoltstein hatten Katsman/Grebnev gemeinsam dafür gesorgt, dass der Super-GAU nicht eintrat.

„Opa“ Tsuboi liefert und zieht die Youngster mit

Daneben durfte sich der TTC OE aber auch beim 35-jährigen „Opa“ des Teams, dem Brasilianer Gustavo Tsuboi, bedanken. Tsuboi, der auf diversen Bundesligastationen vor Bad Homburg nie so recht überzeugt hatte – spektakuläres Spiel und schwache Nerven -, scheint sich nun aber am Fuß des Taunus in der Rolle des Leitwolfs pudelwohl zu fühlen und steht mit einer 5:2-Bilanz ganz prima da.

Der Linkshänder hatte in den Einzeln für die notwendigen Punkte zum Erreichen des Doppels gesorgt – und überstand dabei gleich zwei Tischtennis-Krimis erfolgreich. Im Auftaktspiel setzte er sich mit 3:2 (8:11, 11:9, 9:11, 11:4, 11:7) gegen den Rumänen Cristian Pletea durch. Im Spitzeneinzel gegen den Griechen Ioannis Sgouropoulos musste der Südamerikaner dann sogar eine Verletzungspause überstehen und rettete mit letzter Kraft ein weiteres 3:2 (11:9, 5:11, 8:11, 11:9, 11:7) über die Ziellinie.

Für Grenzau hatte Sgouropoulos zuvor durch ein 3:1 (11:7, 13:11, 4:11, 11:4) gegen den an jenem wichtigen Tag nicht überzeugenden TTC OE-Rumänen Rares Sipos gepunktet. Zudem hatte Zugbrücken-Veteran „King Kara“ alias Aleksandar Karakasevic das Trio aus dem Brexbachtal zwischenzeitlich mit Glück und Cleverness zur 2:1-Führung geführt – 11:7, 9:11, 12:14, 12:10, 11:9 hieß es am Ende im engsten Match des Tages gegen Katsman, der es mal wieder nervlich nicht packte, eine passable Leistung mit einem Erfolg zu krönen. Im Einzel wohlgemerkt, im Doppel mit Grebnev verhält sich ohnehin alles ganz anders.

Begeisterung in Bad Homburg, Niedergeschlagenheit bei Grenzau

„Das Abschlussdoppel war phänomenal! Kompliment an die ganze Mannschaft“, jubelte der sportliche Leiter Bad Homburgs, Sven Rehde, nach der Partie. „Heute war vieles dabei, was der Tischtennis-Fan sehen will. Ich hoffe, dass der Knoten bei unserem jungen Team jetzt geplatzt ist.“

Der erleichterte Manager Mirko Kupfer merkte zum abschließenden Match an: „Was in diesem Doppel passierte, und wir mussten uns da auch erst einmal die Augen reiben, war das, was man am Ende „ein eingespieltes Doppel“ nennt. Blindes Verständnis auf Seiten des TTC OE.“ Das Gesamtgeschehen ordnete Kupfer so ein: „Es ist der Nikolaus Tag, es ist der 6.12.2020 und ein historischer Tag in der 33-jährigen Geschichte des TTC OE – es ist der erste Sieg in der TTBL nach einem heißen Tanz auf der Rasierklinge in einem Kellerduell, das sich zur Nervenschlacht entwickelt hatte.“

Ernüchterung dagegen bei Grenzau, zumal die vielleicht schon vorentscheidende Niederlage in diesem Duell um den Klassenerhalt die vierte Schlappe der Westerwälder binnen acht Tagen war. „Das war eine bittere Niederlage heute“, sagte Trainer Colin Heow. „Wir müssen das jetzt erst mal verdauen und uns dann so gut wie möglich auf das letzte Hinrunden-Spiel in Bergneustadt vorbereiten.“

Am Freitag müssen die Hessen bei Vizemeister Ochsenhausen ran, eine eigentlich kaum lösbare Aufgabe, auch wenn die Oberschwaben vermutlich einen Teil ihrer Youngster zum Einsatz bringen werden. Am Sonntag in heimischer Halle gegen Bad Königshofen dürfte es auch kaum einfacher werden. Und im letzten Match der Hinrunde vier Tage vor Heiligabend darf man bei Cupverteidiger Grünwettersbach eigentlich auch nichts Zählbares einplanen. Grenzau bestreitet sein einziges verbleibendes Vorrundenspiel am 20.12. in Bergneustadt – im Normalfall gibt es da nichts zu holen für Kara und Co.

Forsche Hessen im Aufwind, Traditionsklub Grenzau vor ungewisser Zukunft

Nun weiß man also auch in Bad Homburg, wie sich ein Sieg im deutschen Oberhaus anfühlt. Er dürfte Lust auf mehr geweckt haben. Erinnerungen werden wach an große Zeiten des hessischen Tischtennissports, als mit der Frankfurter Eintracht, Mörfelden und Heusenstamm gleich drei Rhein-Main-Klubs im Oberhaus vertreten waren und später der TTV Gönnern mit Timo Boll zweimal die Champions League gewann. Gut, bis dahin fließt – aus Bad Homburger Sicht – noch viel Wasser den Main hinunter. Die Chance indes, diese eminent schwierige Auftaktsaison in der Beletage zu meistern, sind seit Sonntag deutlich gestiegen.

Reich mit Bundesligasiegen und weiteren Erfolgen ist dagegen die Chronik des renommierten TTC Zugbrücke Grenzau bestückt, der immerhin sechsmal Deutscher Meister und viermal nationaler Pokalsieger wurde sowie zweimal den Europapokal und einmal den ETTU-Cup gewann. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die großen Zeiten der Westerwälder unwiederbringlich vorbei zu sein scheinen, zumal der Verein in den letzten Jahren nicht mehr genügend Geld in die Hand nimmt, konkurrenzfähige Mannschaften in den rauen, aber hochkarätig besetzten TTBL-Alltag zu entsenden. Und die gegenwärtige Corona-Situation mit Geisterspielen, entsprechend nachlassendem Sponsoreninteresse und einem signifikanten Rückgang in den Bereichen Hotel und Gastronomie, dem zentralen Standbein des einst so ehrgeizigen Zugbrücken-Tischtennis-Projekts, lässt kaum eine Besserung für die Zukunft erwarten.

Mit einer preisgünstigen, top motivierten Truppe mit jungem Trainer, der sich beweisen möchte, will man das fast Unmögliche möglich machen und könnte diesmal scheitern. Mit 0:20 Punkten sieht man sich das Geschehen in Europas immer noch stärkster Liga von ganz unten an.

„King Karas“ grimmiger Blick spricht Bände, doch an dem 44-jährigen Serben mit dem goldenen Händchen hat es nicht gelegen, dass Grenzau in Bad Homburg leer ausging.

Die Hessen werden mit ihren gegenwärtig 2:14 Zählern das rettende Ufer, also den 10. Rang, auch nicht mehr erreichen können, doch Platz 11, der gleichbedeutend mit dem Ligaverbleib ist, wenn nicht mehr als ein aufstiegsberechtigter Zweitligist den Sprung in die TTBL wagt, ist zum Greifen nahe. Man darf getrost die Prognose aufstellen, dass der Elfte der Abschlusstabelle auch in der Saison 2021/22 erstklassig aufschlagen wird. Und da sieht es im Moment weit mehr nach Bad Homburg aus als nach Grenzau.

TTC OE Bad Homburg – TTC Zugbrücke Grenzau 3:2

Gustavo Tsuboi – Cristian Pletea 3:2 (8:11, 11:9, 9:11, 11:4, 11:7)

Rares Sipos – Ioannis Sgouropoulos 1:3 (7:11, 11:13, 11:4, 4:11)

Lev Katsman – Aleksandar Karakasevic 2:3 (7:11, 11:9, 14:12, 10:12, 9:11)

Gustavo Tsuboi – Ioannis Sgouropoulos 3:2 (11:9, 5:11, 8:11, 11:9, 11:7)

Lev Katsman/Maksim Grebnev – Cristian Pletea/Aleksandar Karakasevic 3:0 (11:6, 11:8, 11:9)

Die weiteren TTBL-Partien des Wochenendes

ASV Grünwettersbach – SV Werder Bremen 2:3

TTC Zugbrücke Grenzau – TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell 1:3

1. FC Saarbrücken TT – SV Werder Bremen 3:2

TTF Liebherr Ochsenhausen – TTC Schwalbe Bergneustadt 3:0

Beitragsbild oben: Im Einzel knapp gescheitert, doch im Doppel lief es optimal: Lev Katsman.

Text & Foto Katsman: Dr. Stephan Roscher
Foto Karakasevic: Johannes Heil