„Ganz Europa muss bereit sein, mehr zu investieren“ – Interview mit Dubravko Skoric



Nach dem überzeugenden Derbysieg der TTF Liebherr Ochsenhausen in Frickenhausen macht die Tischtennis Bundesliga bis zum 23. November eine Pause – zumindest gilt dies für sechs der zehn Mannschaften.

Dies gibt uns die Zeit, ausgiebig mit Ochsenhausens Cheftrainer Dubravko Skoric über sein Team, den bisherigen Saisonverlauf und die Arbeit am Liebherr Masters College, der TTF-Talentschmiede, zu sprechen. Auch blicken wir über den Tellerrand hinaus und befragen Skoric nach der Zukunft des europäischen Tischtennis im Vergleich zu Asien und besonders natürlich China.

Es ist ein sehr interessantes Interview geworden mit einem der besten Kenner des internationalen Tischtennissports, der zudem mit fünf Champions League-Siegen – alle mit seinem früheren Klub Royal Villette Charleroi errungen – Europas Rekordtrainer ist. Skoric sieht durchaus realistische Chancen, die Tischtennis-Weltmacht China mittel- und langfristig zu attackieren.


Herr Skoric, nach sieben Spieltagen stehen die TTF Liebherr Ochsenhausen mit 8:6 Punkten auf Tabellenplatz drei. Wie war aus Ihrer Sicht der bisherige Saisonverlauf?

„Ich bewerte den bisherigen Saisonverlauf sehr positiv. Wir haben klare Siege erspielt und bei den drei Niederlagen gegen Düsseldorf, Saarbrücken und Fulda-Maberzell haben wir stets gut dagegen gehalten und gekämpft. Wir haben vier gute Spieler und das haben die Jungs bisher auch gezeigt.“

Schwächere Teams wie Mühlhausen, Hagen und Frickenhausen wurden klar geschlagen, gegen die starken Mannschaften wie Saarbrücken und Meister Düsseldorf gab sich das Team erst nach großem Kampf geschlagen – haben die Spieler im Vergleich zu letzter Saison einen Schritt nach vorne gemacht?

„Die Jungs haben definitiv einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Letzte Saison haben wir uns gegen Teams wie Hagen oder Mühlhausen schwer getan, das haben wir bis jetzt viel besser gemacht. Wir haben ein Team mit großem Potenzial, die Spieler benötigen nur weiterhin die Zeit, dies zu verstehen und anzunehmen.“

Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial bei Ihrem Team?

„Wir haben drei Spieler in unseren Reihen, die um die 20 Jahre alt sind, da ist es vor allem die fehlende Erfahrung, die sich am meisten bemerkbar macht. Natürlich sind wir auch in Technik und Taktik noch nicht am Ende. Wir sind alle hungrig und arbeiten jeden Tag, um noch besser zu werden.“

Vor Ihnen liegen mit den Spielen gegen den TTC Zugbrücke Grenzau und den SV Werder Bremen noch zwei schwere Spiele. Wie schätzen Sie die Chancen in diesen beiden Spielen ein?

„Wir haben vor der Saison gesagt, wir machen die Saison nicht nur an Zahlen und Ergebnissen fest. Dementsprechend erwarte ich von uns auch keine Siege oder werde Vorgaben machen. Was ich von der Mannschaft erwarte ist, dass sie ihr Maximum abruft und bis zum letzten Ball kämpft. Jeder in der Halle, egal ob zu Hause oder auswärts, muss spüren, dass wir bereit sind, alles für den Erfolg zu tun. Sollten wir dann trotzdem verlieren, kann ich das akzeptieren und der Mannschaft keinen Vorwurf machen.“

In der Liga sind nun sieben Spieltage absolviert. Was sind die Überraschungen und die Enttäuschungen der TTBL?

„Die größte Überraschung für mich ist Grenzau. Die Truppe hat eine klare Struktur und eine homogene Mannschaft. Fulda hat keinen einfachen Saisonstart, aber sie haben genug Qualität und Erfahrung in der Mannschaft, um wieder vorne mitzuspielen. Frickenhausen ist keine Enttäuschung, aber man merkt ihnen an, dass sie am bisherigen Saisonverlauf zu knabbern haben.“

Ende des Jahres steht mit dem Liebherr Pokal-Finale das erste große Highlight des Jahres an. Sie treffen gleich im Viertelfinale auf den Mitfavoriten und Lokalmatadoren TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell. Was macht für Sie den Reiz dieses Wettbewerbs aus und wie möchten Sie in Fulda gegen Fulda bestehen?

Dieser Wettbewerb hat einen besonderen Reiz, denn man spielt ein gut organisiertes Turnier in einer vollen Arena. Man kann es eigentlich nicht mit einem normalen TTBL-Spiel vergleichen. Für uns ist das eine tolle Möglichkeit, Erfahrung zu sammeln und zu lernen. Natürlich ist Fulda alles andere als ein leichtes Los. Fulda ist klarer Favorit und mit dem frenetischen Publikum und in der eigenen Stadt ist das schon ein unfassbar starker Gegner. Zudem haben wir keinen Abwehrkiller in unseren Reihen und Fulda hat mit Wang Xi und Ruwen Filus gleich zwei starke Abwehrspieler. Wir werden um unsere Chance kämpfen und versuchen, Fulda Paroli zu bieten.“

Diese Saison scheint Ochsenhausen zur Tischtennisstadt zu mutieren. Phasenweise haben Sie 20 Spieler in Ihrer Trainingsgruppe im Sparkassen TT-Leistungszentrum. Hatten Sie als Trainer jemals zuvor solch eine große Gruppe an Spielern?

„Nein, ich hatte niemals in meiner Karriere eine so große Trainingsgruppe. Aber wir haben uns ja bewusst für den Weg entschieden und nun verfolgen wir diesen Weg auch konsequent.“

Fünf Trainer kümmern sich um die Trainingsgruppe. Was sind die besonderen Herausforderungen und wo liegt der Fokus für das Trainerteam?

Zu Beginn der Saison lag der Fokus darauf, die zum Teil starken körperlichen Unterschiede zwischen den Spielern zu verringern. Nun, da alle physisch in einem sehr guten Zustand sind, können wir mit allen hart arbeiten und trainieren. Nach einer harten aber guten Saisonvorbereitung, in der der Schwerpunkt wie gesagt auf der Physis lag, gilt es jetzt, im technischen und mentalen Bereich zu arbeiten. Wir arbeiten hier als Trainerteam sehr eng und gut zusammen, um jeden Spieler optimal zu fordern und zu fördern.“

Mit in dieser Trainingsgruppe sind natürlich die Mitglieder des Liebherr Masters College. Hier findet man einige hochtalentierte Nachwuchsspieler, die zweifellos das Potenzial für die Spitze haben. Was ist neben dem Talent für einen Spieler des Liebherr Masters College wichtig?

„Ich denke, jeder Spieler muss neben einem gewissen spielerischem Talent den unbändigen Willen haben, jeden Tag in jedem Training hart an sich arbeiten zu wollen. Ich habe im Laufe meiner Karriere viele talentierte Spieler gesehen, doch nur die, welche bereit waren, gegen den Gegner und gegen sich selbst zu kämpfen, haben es bis ganz nach oben geschafft. Demnach schulen wir hier neben der Technik auch den Willen und die Konzentration, sich in jeder Einheit verbessern zu wollen.“

Nun arbeiten Sie am Liebherr Masters College an der Zukunft Europas im Tischtennis. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation im Herrenbereich und im Jugendbereich?

„In den letzten 15 Jahren ist hier in Europa leider nicht viel passiert und wie überall ist es auch im Tischtennis so: Stillstand bedeutet Rückschritt. Daher wird es höchste Zeit, dass wir in Europa aufwachen und wieder dorthin wollen, wo wir zu den Glanzzeiten der Schweden oder Ungarn schon einmal waren.“

Europa gerät hier im Vergleich mit Asien im Allgemeinen und China im Speziellen immer mehr ins Hintertreffen. Kann Ihre Generation am Liebherr Masters College hier eine Trendwende einleiten?

„Es mag seltsam klingen, aber wir wollen hier am Liebherr Masters College wirklich ganz Europa helfen. Ich denke, das eine oder andere Ergebnis unserer Jungs hat schon gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Es wäre sicher vermessen zu sagen, wir möchten morgen China angreifen – dafür sind unsere Jungs noch nicht bereit. Unser erstes Ziel ist es, das Liebherr Masters College zu einer Top-Adresse im Nachwuchsbereich in Europa zu machen. Dies bedeutet, dass unsere Spieler mittelfristig zur Crème de la Crème in Europa gehören sollten. Darauf liegt im Moment unser Fokus. Die Spieler müssen mit 23 Jahren technisch und physisch schon vollständig ausgebildet sein, dann haben sie in den Folgejahren auch die Chance, die Chinesen zu ärgern.“

Deutlich wird diese Unterlegenheit, wenn man den World Cup der Herren betrachtet. Hier unterlag Timo Boll dem späteren Sieger Zhang Jike mit 3:4 – sind er und „Dima“ Ovtcharov wirklich die einzigen Hoffnungen Europas?

„Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov sind derzeit die einzigen Europäer, die in der Lage sind, China wirklich Paroli zu bieten. Doch das kommt ja bei beiden nicht von ungefähr. Beide wurden früh gefördert und hatten dieses hohe Niveau schon in jungen Jahren. Dann kommt die Wettkampfhärte und Erfahrung zu dem sowieso vorhandenen Talent dazu. Beide sind auf ihre Weise absolute Ausnahmespieler. Ich bin davon überzeugt, dass wir hier in Ochsenhausen mit unserer Arbeit auch solche Ausnahmespieler formen können. Dann stehen Timo und Dima bald vielleicht nicht mehr allein auf weiter Flur.“

Was macht die Dominanz der Asiaten, speziell der Chinesen, aus und wie kann man dieser Dominanz beikommen?

„Dies hat mehrere Gründe. Zunächst einmal muss man hier den Background Chinas beachten. In China gibt es 30 Leistungszentren mit jeweils circa 30 Spielern, die auf dem Niveau arbeiten, wie wir es hier tun. Aus diesen circa 900 Spielern werden die fünf besten ausgewählt. Dass bei solch einem Auswahlverfahren am Ende hohe Qualität vorhanden ist steht außer Frage.

Ein weiterer Grund ist sicher die Art und Weise und die Planung des Trainings und die Vorbereitung auf große Turniere. In China wird die Liga dem Nationalteam ganz klar untergeordnet. Dies bedeutet, dass die Spieltage so gelegt werden, dass eine optimale und ausgedehnte Vorbereitung auf die großen Veranstaltungen durchgeführt werden kann. In Europa haben wir zu viele Wettbewerbe und Spiele, so dass eine dreimonatige Vorbereitung auf Olympia oder eine Weltmeisterschaft, wie sie bei den Chinesen nicht unüblich ist, schlicht unmöglich ist.

Ein letzter Grund ist die Entwicklung. Asien im Allgemeinen und China im Speziellen ist uns mittlerweile weit voraus, was die Technik und die Athletik angeht – diese Faktoren wurden in den letzten Jahren im Tischtennis immer wichtiger.

Es ist nicht einfach die Dominanz zu brechen, aber es ist nicht unmöglich. Ganz Europa muss bereit sein, mehr zu investieren, dann bin ich mir sicher dass wir Spieler kreieren werden, die es auch mit einem Zhang Jike oder Ma Long aufnehmen können.“