Olympia Qualifikation: Dramatische Entscheidungen in Lateinamerika



Viele Tischtennisfans aus der ganzen Welt richteten in den vergangenen Tagen ihren Blick nach Rosario.
In der drittgrößten Stadt Argentiniens spielten 21 Damen, 24 Herren und 12 Mixedpaarungen um insgesamt acht Tickets für die Olympischen Spiele in Tokio.

Auch wenn nahezu jeder der dort angetretenen Lateinamerikaner sportlich wohl bestenfalls die 1. Runde in Tokio überstehen wird, war der Kampf und die Freude über gewonnene Tickets größer als bei manch einem Europäer oder Asiaten. Denn das Motto „Dabei sein ist alles“ wird bei den Spielern aus Lateinamerika noch größer geschrieben. Ebenfalls wichtig: Die Fördergelder vom jeweiligen Verband, die bei einer Qualifikation für Olympia ausgeschüttet werden. Denn richtig gut vom Tischtennis leben, können nur die wenigsten Starter in Rosario.

Mit dabei waren auch viele Spieler die in Deutschland leben, trainieren und spielen:
Alberto Mino (Spielklasse: TTBL; Verein: TTC Schwalbe Bergneustadt), Marcelo Aguirre (TTBL; SV Werder Bremen), Gaston Alto (Regionalliga; TSV Windsbach), Paulina Vega (trainiert in Bad Aibling), Jorge Campos (Oberliga; TTC Kist) und Andy Pereira (1. Liga Österreich; TTC Wiener Neustadt).
Insbesondere die Verantwortlichen des TTC Zugbrücke Grenzau haben ganz genau nach Rosario geschaut. Denn ebenfalls um ein Ticket nach Tokio kämpfte Wu Jiaji, der in der nächsten Saison in Grenzau leben und für den TTC Zugbrücke als Spitzenspieler aufschlagen wird.

Das Turnier selbst wurde in zwei Stages gespielt:
Bei den Damen und Herren gab es in der 1. Stage jeweils zwei Tickets zu gewinnen. Dafür wurde in zwei getrennten KO-Felder gespielt, in denen jeweils ein Ticket vergeben wurde. Alle die in der 1. Stage kein Ticket ergattern konnten, durften es in der 2. Tage nochmal um die zwei restlichen Tickets bei den Herren bzw. das eine restliche Ticket bei den Damen spielen. Auch hier wurde zumindest bei den Herren wieder in zwei getrennten KO-Felder gespielt, während bei den Damen die verbliebenden 19 Damen in einem KO-Feld um das letzte Ticket spielen mussten.

In der 1. Stage sorgte bereits im Viertelfinale Jorge Campos (Kuba) durch seinen deutlichen 4:0 Sieg über Marcelo Aguirre (Paraguay) für die erste Überraschung des Turniers. Campos schlug anschließend auch Gaston Alto, ehe er im Finale unglücklich mit 9:11 im Entscheidungssatz gegen Brian Afanador (Puerto Rico) verlor.
Im anderen KO-Feld kam es im Halbfinale zum Duell zwischen Alberto Mino (Ecuador) und Wu Jiaji (Dominikanische Republik). Im Duell zwischen dem Bergneustädter und dem zukünftigen Grenzauer, setzte sich der in London geborene und China aufgewachsene Penholderspieler mit 4:2 durch.
Im Finale stand ihm dann der Argentinier Horacio Cifuentes (Argentinien) gegenüber, der ein perfektes Turnier spielte und lediglich ein Satz gegen Wu abgab. Genauso wie beim 24-jährigen Afanador war die Freude auch beim 23-jährigen Cifuentes riesengroß.
Dazu ein paar schöne Bilder aus Rosario:

Auch bei den Damen ging es in der 1. Stage heiß her. Melanie Diaz (Puerto Rico) – die ältere Schwester der aufstrebenden Nummer 16 der Weltrangliste Adriana Diaz – stand im Finale des oberen KO-Feldes der Kubanerin Daniela Fonseca Carrazana gegenüber.
Nach einer 3:1 Führung und einem Matchball für Fonseca Carrazana, drehte Diaz das Spiel und gewann im entscheidenden 7. Satz mit 11:6. Die bereits für Olympia qualifizierte Adriana Diaz schrieb anschließend auf Instagram „Mein Traum ist in Erfüllung gegangen. Meine Schwester Melanie und mein Cousin Brian Afanador werden mich nach Tokio begleiten.“
Im anderen Finale der 1. Stage, war die seit einem Jahr in Bad Aibling trainierende Paulina Vega (Chile) mit 4:2 gegen Yadira Silva (Mexiko) erfolgreich.
Auch bei den Damen gab es großartige Emotionen:

Die 22 Herren und 19 Damen, die in der 1. Stage nicht erfolgreich waren, gingen nun in der 2. Stage in den Kampf um die letzten Tickets.
Sehr enttäuschend lief es erneut für den seit vielen Jahren in Bremen lebenden und spielenden Aguirre. Gegen den baldigen Grenzauer Wu Jiaji verlor er im Halbfinale deutlich mit 0:4.
Auf Wu wartete im Finale der 35-jährige Alto. Der Argentinier spielte wie gewohnt sehr kämpferisch und drehte einen 1:2 Rückstand zum 4:2 Sieg. Der Regionalligaspieler qualifizierte sich damit erstmals für Olympia.

Im anderen Finale gab es ein deja-vu für Jorge Campos: Nachdem er in der 1. Stage nur hauchdünn im Finale unterlegen war, hatte er drei Matchbälle zum möglichen 4:2 Sieg gegen den TTBL-Spieler Alberto Mino. Doch der 29-Jährige wurde nervös, machte leichte Fehler und beim 3. Matchball sogar einen Fehlaufschlag. Er verlor den Satz und am Ende auch das Spiel.
Alberto Mino dagegen fiel, nachdem er seinen 3. Matchball zum 12:10 im 7. Satz nutzen konnte, ein riesiger Stein vom Herzen. Zum ersten Mal konnte sich der in Düsseldorf lebende Ecuadorianer für das wichtigste Sportevent der Welt qualifizieren.
Die dramatischen Siegesszenen:

Das letzte noch verfügbare Ticket bei den Damen gewann am Ende die Kubanerin Daniela Fonseca Carrazana, die wie berichtet in der 1. Stage trotz Matchball und 3:1 Führung das Ticket verpasste.
Auf den Weg ins Finale der 2. Stage musste sie allerdings je ein 1:3 und 2:3 Rückstand drehen, ehe sie ins Endspiel einzog.
Dort lag sie gegen die Mexikanerin Yadira Silva bereits 0:2 hinten, bevor sie die nächsten drei Sätze 11:9, 11:9 und 13:11 gewann. Nachdem der 6. Satz wieder an Silva ging, konnte sie im 7. Satz ihren 4. Matchball zum 12:10 nutzen. Ganz lässig warf sie ihren Schläger weg, ballte die Faust und lief entspannt ihren Betreuern entgegen, die sie freudestrahlend in den Arm nahmen. Solch schöne Szenen gibt es nur alle vier Jahre zu sehen!

Ein Ticket nach Tokio war aber nun noch offen. Denn auch im Mixed-Doppel hat Lateinamerika einen Startplatz für die Olympischen Spiele zu vergeben.
Da das topgesetzte Duo Adriana Diaz/Brian Afanador aufgrund eines Covid-19-Falls nicht antreten konnte, gingen die Brasilianer Bruna Takahashi und Vitor Ishiy favorisiert ins Turnier.
Doch die in der nächsten Saison für den TTC Weinheim spielende Takahashi und der in Ochsenhausen lebende Vitor Ishiy hatten gegen das Duo Fonseca Carrazana/Campos deutlich mit 0:4 das Nachsehen. Während die beiden Kubaner sich bereits in etlichen Einzeln an die Bedingungen vor Ort gewöhnen konnten, war es für das brasilianische Duo das erste Match in Rosario überhaupt.
Für Fonseca Carrazana/Campos ging es nach einem 4:1 im Halbfinale über Silva/Madrid ins Endspiel: Es war für beide Spieler das dritte Endspiel im dritten Turniertag. Nachdem sich Fonseca Carrazana durch einen Sieg des zweiten Endspiels bereits ein Ticket nach Rio sichern konnte, ging Campos in beiden Endspielen nach hauchdünnen Niederlagen bisher leer aus.
Doch dies sollte sich nun ändern. Gegen Vega/Lamadrid spielten sie sich in einen Rausch und gewannen am Ende mit 4:2. Der am Tag zuvor noch so unglückliche Campos sank zu Boden und konnte es nicht glauben, dass er es nun doch noch zu den Olympischen Spielen geschafft hat. Ein wahres Happy End.

Text: und Foto: Johannes Gohlke