1. BUNDESLIGA DAMEN: „Es wäre ein Traum, mit dem TSV ein Finale zu erreichen“ – Interview mit Manfred Kämmerer



Der TSV Langstadt ist – von vielen erwartet – im Lauf der Saison zur Nummer drei im deutschen Damentischtennis avanciert. Trotz verletzungsbedingt durchwachsener Rückserie belegte man diesen Platz nach Abschluss der Punktrunde und bewerkstelligte dann souverän den Einzug ins Meisterschafts-Halbfinale. Dort scheiterte man vor einer Woche, auch nicht unerwartet, an Kolbermoor, einem der beiden Topfavoriten auf den Titel. Wir sprachen mit Manfred Kämmerer, dem Sportlichen Leiter des TSV, über die zurückliegende Saison sowie über die Perspektiven des südhessischen Bundesligisten für die kommende Spielzeit.

Waren Sie mit dem Verlauf der Saison 2020/21 zufrieden?

„Insgesamt sind wir mit dem Verlauf der Saison zufrieden, denn wir haben unser Ziel 3. Platz geschafft und anschließend die Halbfinals erreicht. In der Vorrunde haben wir zudem immer komplett gespielt, was durch Corona in Bezug auf Dina Meshref sicher eine Herausforderung war. Hier kam uns aber zu Gute, dass es eben auch keine internationalen Turniere gab und sie somit auch immer zur Verfügung stand. Die Rückrunde hat dann mit der Verletzung von Peti Solja sehr unglücklich für uns angefangen und wir mussten einige Niederlagen hinnehmen. Zum Ende der Saison und in den Play-offs hat man aber gesehen, dass wir in kompletter Aufstellung wieder zur alten Stärke zurückgefunden haben.“

Inklusive der Play-offs haben wir folgende Bilanzen ermittelt: Solja 15:11, Meshref 14:12, Krämer 20:11, Schreiner 19:12, also alle im positiven Bereich in der gewiss stärksten Liga Europas. Wobei Soljas Ergebnis sicher nicht so gut wie erwartet ist. Wie haben Sie die einzelnen Spielerinnen im Lauf der Saison erlebt?

„Beginnen wir mit Petrissa Solja: Ihr hat der gewohnte Rhythmus gefehlt, was an zwei Dingen lag. Zuerst war sie, als einzige Spielerin der Bundesliga, insgesamt knapp sieben Wochen in der China Bubble. Anfang des Jahres kam dann eine knapp zweimonatige Verletzungspause dazu. Zum Ende der Saison und in den Play-offs hat sie sich dann wieder an ihre Bestform herangekämpft. Man hat aber natürlich gemerkt, dass ihr noch die Zeit gefehlt hat, in der sie nicht trainieren konnte. Bei Dina Meshref konnte man eine Leistungssteigerung gegenüber der Vorsaison erkennen. Das hat sich nicht nur im Niveau ihrer Spiele gezeigt, sondern eben auch in einer besseren Bilanz ausgedrückt. Nach zwei Jahren möchte sie eine neue Erfahrung in einem neuen Land machen und wechselt nach Frankreich zum Champions-League-Teilnehmer Metz TT. Tanja Krämer hat unsere Erwartungen vollständig erfüllt. Eine sichere Punktesammlerin im hinteren Paarkreuz und, wenn notwendig, auch im vorderen Paarkreuz erfolgreich, wie zum Beispiel in der Rückrunde in Bingen. Franziska Schreiner hat unsere Erwartungen sogar deutlich übertroffen. Natürlich haben wir uns durch ihren Weg ins Profilager versprochen, dass sie im Laufe der Saison einen deutlichen Leistungssprung macht. Sie war aber bereits zu Beginn der Saison eine sichere Punktesammlerin im hinteren Paarkreuz und hat mit einer hoch positiven Bilanz zum Erfolg des Teams ganz wesentlich beigetragen.“

Verlässt den TSV nach zwei Spielzeiten in Richtung Frankreich: Dina Meshref.

Wird die Standardbesetzung in der kommenden Saison Solja, Mantz, Krämer und Schreiner lauten?

„Ja, in der Tat, das wird in dieser Reihenfolge unsere Standardbesetzung sein. Peti Solja ist und bleibt unsere Führungsspielerin und ist die Identifikationsfigur für den TSV. Dina Meshrefs Weggang haben wir mit Chantal Mantz kompensiert. Tanja Krämer wird mit ihrem teilweise unorthodoxen aber gleichzeitig spektakulären Spielstil unsere Fans sicher begeistern. Und dass wir an Franzi Schreiner noch viel Freude haben werden, ist eigentlich jedem klar. Damit haben wir drei aktuelle deutsche Nationalspielerinnen und eine ehemalige. Drei Spielerinnen stammen aus der Region und eine davon wohnt noch hier in der Gegend, nämlich Franziska Schreiner, die in der Nähe von Aschaffenburg, 18 km von Langstadt entfernt, lebt. Zugegeben nur am Wochenende, unter der Woche ist sie ja im Deutschen Tischtennis-Zentrum in Düsseldorf. Und Chantal ist in Dieburg geboren, neun Kilometer von Langstadt entfernt. Das ist eine Mannschaft mit starkem regionalem Bezug, mit der sich unsere Fans sicher auch voll und ganz identifizieren werden.“

Wird denn auch mit der starken Taiwanerin Cheng Hsien-Tzu, die letzte Saison gar nicht zum Einsatz kam, wieder zu rechnen sein?

„Cheng Hsien-Tzu konnte aufgrund der Pandemie kein einziges Match bestreiten. Da ich hier bezüglich der Corona-Situation aktuell keine Veränderung sehe, was Taiwan betrifft, gehe ich eher davon aus, dass sie auch in der kommenden Saison keine Spiele bei uns machen kann.“

Welches sind die Ziele für die Saison 2021/22? Es soll ja sicher immer einen Schritt vorangehen, demnach wäre ja jetzt das erstmalige Erreichen eines Endspiels in Meisterschaft oder Pokal an der Reihe. Oder wäre das zu ambitioniert und optimistisch?

„Es wäre sicher ein Traum, mit dem TSV einmal ein Finale zu erreichen. Für die Bundesliga wird dieses Ziel jedoch weiterhin in weiter Ferne sein. Berlin und Kolbermoor sind und bleiben die dominierenden Teams in Deutschland. Daran wird sich wohl auch so schnell nichts ändern. Dazu stößt in der neuen Saison der Aufsteiger aus Weinheim, den man als finanzstark einschätzt und der in Zukunft in diese Phalanx der beiden Großen eindringen will. Weinheim hat sich mit Sophia Klee und der 20-jährigen Top-Brasilianerin Bruna Takahashi, die in der Weltrangliste auf Platz 48 steht, toll verstärkt. Mittel- und langfristig sind sie definitiv ein Kandidat für ganz vorne. Doch zurück zu unserem Team: Im Pokal wäre es sicher eher möglich, ein Finale zu erreichen. Dazu benötigt man jedoch vor allem eins: Losglück! Das ist genau das, was wir in diesem Wettbewerb noch nie hatten, denn wir sind nahezu immer bereits in der Qualifikationsrunde auf Berlin oder Kolbermoor gestoßen. Sollten Kolbermoor und Berlin einmal vor dem Finale gegeneinander gelost werden, würde ein dritter Verein ins Finale einziehen und das wäre dann natürlich ein Ziel, dass wir das sind.“

Bleibt unangefochten die Nummer 1 und will 2021/22 erfolgreicher spielen als 2020/21: Petrissa Solja.

Natürlich müssen wir auch noch über die Finanzen reden. Eine sicher auch für den TSV Langstadt schwierige Saison im Zeichen von Corona liegt hinter uns. Keine Fans, weniger Einnahmen und eventuell auch ein Rückgang an Sponsoren, könnte man sich denken. Was davon trifft zu?

„Wie in den letzten Jahren schon immer von uns kommuniziert, wird es beim TSV keine finanziellen Abenteuer geben. Wir bewegen uns immer im Rahmen unserer Möglichkeiten. Ja, diese sind mit Corona auch bei uns eingeschränkt worden. Wir haben Sponsoren verloren und werden nach jetzigem Stand zur kommenden Saison einen großen Sponsor verlieren. Die laufende Saison war geprägt durch die fehlenden Zuschauereinnahmen, die bei uns einen fünfstelligen Betrag ausmachen. Aufgefangen haben wir das insbesondere dadurch, dass wir in den vergangenen Jahren solide gewirtschaftet haben. Klar ist aber auch, dass wir zum weiteren Betrieb der Bundesligamannschaft auch zusätzliche Sponsoren gewinnen müssen. Deshalb möchte ich gerne an dieser Stelle die hiesige Wirtschaft auffordern, Kontakt mit uns aufzunehmen. Wir sind als TSV gerade für die Rhein-Main-Region sehr attraktiv für jegliche Sponsorenaktivitäten. Im Übrigen betrifft dieses Thema natürlich alle anderen Damen-Bundesligisten ganz genauso, wie wir aus vielen Gesprächen im Laufe der Saison feststellen konnten.“

Herr Kämmerer, wir danken Ihnen für dieses sehr offene, ergiebige Gespräch!

Beitragsbild oben: Manfred Kämmerer mit Alena Lemmer und seiner Tochter Janina, die beide in der 2. Mannschaft (3. Bundesliga Nord) aufschlagen, bisweilen aber auch im Erstligateam aushelfen.

Interview und Fotos (3): Dr. Stephan Roscher