JANUAR-WELTRANGLISTE: Kein Stein bleibt auf dem anderen



Gewaltige Sprünge brachte das neue System der Weltrangliste, das ab diesem Monat greift. Mancher Star fiel ins Niemandsland zurück, andere sprinteten steil nach oben. Dass Dimitrij Ovtcharov die Spitzenposition übernehmen würde, wusste man seit den Grand Finals.

Bereits am Neujahrstag präsentierte die ITTF ihre Januar-Weltrangliste – eine Ranking-Revolution erster Güte, über die man noch viel diskutieren wird, da man zwar informiert war, was kommen würde, jetzt aber erst schwarz auf weiß sieht, wie die Tischtenniswelt durch das neue System durcheinandergewirbelt wird. Das gilt nicht so sehr für die beiden neuen Branchenführer, die auch im „Normalfall“ weit oben zu finde wären – Ovtcharov dann eben als Dritter und Chen Meng hätte Zhu Yuling ohnehin abgelöst –, aber hinter ihnen sind teilweise gigantische Sprünge und Abstürze zu verzeichnen.

Diese basieren auf dem neuen Berechnungssystem des Weltverbandes. Nach diesem haben Niederlagen gegen schwächere Gegner keine Minuspunkte mehr zur Folge. Die bisherige Einstufung des Gegners ist nun irrelevant für die Punktevergabe und häufiges Spielen wird belohnt. Maximal acht Turniere fließen in die Wertung ein, was bedeutet, dass derjenige, der viel spielt, über die maximale Zahl an Events und mehr mögliche Streichergebnisse verfügt. Wer wenig spielt, wird dagegen abgestraft und muss mit deutlichen Einbußen rechnen.

Berg- und Talfahrten

Zwei markante Beispiele illustrieren das. So ist Weltmeisterin Ding Ning aufgrund der Bewertung des für sie auftrittsarmen Jahres 2017 nur noch die Nummer 21 der Welt. Und Zhang Jike, Olympiasieger von London, rutschte gar auf Platz 54 ab und ist damit 38 Plätze schlechter als ein Omar Assar notiert. Oder ein drittes Beispiel, das vielleicht nicht jedem sofort ins Auge sticht, da viele nur auf das Herren- und Damen-Klassement blicken: Das U21-Ranking der ITTF wird ab sofort von einem Bundesligaspieler angeführt, nämlich von Bad Königshofens Japaner Mizuki Oikawa, der von Rang 18 kommend die Spitzenposition erklomm. Der unbestreitbar beste Spieler der Welt unter 21 Jahren, der Chinese Fan Zhendong, fiel aus der Rangliste, weil er bei seinem Niveau zuletzt eben keine U21-Turniere mehr gespielt hat, während Oikawa 2017 im Dauereinsatz war. Ähnlich wie Fan erging es Tomokazu Harimoto, der von Position 2 auf 49 zurückfiel. Der Bundesligaaufsteiger aus Unterfranken ist mit einem Schlag übrigens zum führenden U21-Klub der Welt avanciert, da auch Darko Jorgic für Furore sorgte und von 19 auf 7 kletterte.

Dima und Timo mit historischen Notierungen

Im obersten Segment sieht es prima für den DTTB aus. Dima Ovtcharov schaut sich das Treiben vom Thron aus an mit einem für den Augenblick recht soliden Punktepolster vor Fan Zhendong (16.545 : 15.870). Um zwei Plätze schob sich Timo Boll nach oben und ist nun die Nummer 3 der Welt. Erster und Dritter im internationalen Tableau – so etwas gab es im deutschen Tischtennis noch nie. 

Dementsprechend glücklich zeigten sich die beiden Ausnahmespieler. „Ich bin ungemein stolz, nun die Nummer 1 zu sein. Für mich ist es die Erfüllung eines Traumes. Es fühlt sich für mich persönlich an wie der Gewinn eines Welttitels“, sagte Ovtcharov. Vor dem World-Cup-Sieger standen seit April 2011 ausnahmslos Chinesen der Spitze der Weltrangliste. Letzter Nicht-Chinese auf der Top-Position war von Januar bis März 2011 Timo Boll, der zuvor bereits von Januar bis Mai 2003 über dem Rest der Welt gethront hatte. Nun tritt Dima Timos Erbe an und ist damit der zweite Deutsche der Tischtennisgeschichte auf der Spitzenposition. Ovtcharov: „Ich habe 20 Jahre auf dieses Ziel hingearbeitet und es nun geschafft. Ich möchte sehr vielen Menschen danken, die mich die ganze Karriere über unterstützt haben. Dieser Erfolg war nur mit der Hilfe des gesamten Teams und natürlich der großen Unterstützung durch die Familie möglich.“ Dima, der binnen weniger Wochen Yan An, Lin Gaoyuan und Fan Zhendong schlagen konnte, strotz vor Selbstbewusstsein: „Mittlerweile trage ich den Glauben in mir, dass ich auch die besten Chinesen schlagen kann.“ 

Timo Boll freute sich für seinen Freund und Weggefährten und natürlich auch für sich selbst: „Ich freue mich besonders für Dima, aber auch für den deutschen Tischtennissport, sowie für unser gesamtes Tischtennis, das nun jahrelang von China dominiert wurde. Es ist wieder Leben in unserem Sport! Ich freue mich natürlich auch, nach den härtesten acht Monaten meiner Karriere selbst die Position 3 in der Welt einzunehmen.“ 

Assar und Calderano sprinten nach oben

Hinter Boll rückte Lin Gaoyuan von 6 auf 4 vor, es folgen Xu Xin, Koki Niwa und der von 1 auf 7 zurückgefallene Weltmeister Ma Long – eine Position, die seinem tatsächlichen Leistungsvermögen natürlich gar nicht gerecht wird. Einige weitere markante Positionswechsel: Wong Chun Ting kletterte von 14 auf 7, Simon Gauzy ist wieder unter den TOP 10 und nimmt Position 9 ein, Kenta Matsudaira sprang von 15 auf 10, Tomokazu Harimoto von 17 auf 11, Marcos Freitas von 19 auf 12. Jun Mizutani büßte sechs Plätze ein und ist nur noch 13., während Werders ägyptischer Hüne Omar Assar von 26 auf 16 sprintete. Siebenmeilenstiefel hatte auch Ochsenhausens Brasilianer Hugo Calderano an, der gleich 14 Plätze gutmachte und nun 17. ist. Sehr gut sieht es auch für zwei Deutsche aus: Ruwen Filus kletterte von 23 auf 18 und Ricardo Walther gar von 47 auf 27! 

Bastian Steger hat sich kaum verändert (von 30 auf 31), während Kou Lei, bei Grenzau in Ungnade gefallen, zehn Plätze gutmachte und nun 34. ist. Der international überall präsente Spanier Alvaro Robles (Bergneustadt) steht fast 30 Plätze höher als im Dezember und ist nun sensationell die Nummer 37 der Welt. Tiago Apolonia fiel von 36 auf 40, während sich sein Saarbrücker Teamkollege Patrick Franziska von 49 auf 43 verbesserte. Benedikt Duda bleibt 46. – einer der eher seltenen Fälle einer gleichbleibenden Bewertung nach alter und neuer Weltrangliste. Anders Grenzaus Kasache Kirill Gerassimenko, ähnlich wie Robles auf nahezu allen Turnieren unterwegs. Der 20-jährige war im Dezember die Nummer 80 und ist nun die Nummer 48 der Welt. Noch nicht ganz so weit oben finden wir Düsseldorfs Youngster Anton Källberg. Doch auch der 20-jährige Schwede ist einer der Gewinner des neuen Systems – er machte 37 Ränge gut und ist als 71. des Rankings auf dem Vormarsch. Källberg stellt einen Fall dar, wo die reformierte Rangliste einen Spieler realistischer abbildet als zuvor – gefühlt müsste der junge Skandinavier allerdings eher um die 50 stehen. Anders verhält es sich bei Gerassimenko, der zwar mit 21 Jahren noch reichlich Entwicklungspotenzial besitzt, auf 48 jedoch unrealistisch hoch eingestuft ist – hier erschiene eine Position in den End-Siebzigern gegenwärtig realistischer.

Chen Meng neue Welt-Branchenführerin der Damen

Bei den Damen tauschten, wie erwähnt, Grand-Finals-Siegerin Chen Meng und Zhu Yuling die Plätze. Feng Tianwei (Singapur) – zwar selbst gebürtige Chinesin, aber leistungsmäßig doch ein gutes Stück von den Topspielerinnen der Volksrepublik entfernt – sprintete von 11 auf 3. Ein Fall, bei dem eine sehr aktive Spielerin vom neuen System erheblich profitierte, die eigentlich nicht so weit nach oben gehört. Es folgt das Japan-Terzett Kasumi Ishikawa, Mima Ito und Miu Hirano, dem Taiwans Beste, Cheng I-Ching, im Nacken sitzt, international omnipräsent und deshalb von 12 auf 7 geklettert. Einen Riesensatz machte Honkongs Doo Hoi Kem (von 19 auf 9), ähnlich wie ihre Landsfrau Lee Ho Ching (von 25 auf 12). Auch die Ex-Berlinerin Miyu Kato (Japan) steht gut da und ist nun 13. (Dezember: 18.). 

Han und Shan nicht unter den TOP 20

Nicht beschweren kann sich auch Hollands Defensiv-Königin Lie Yie, die sich um neun Plätze auf Rang 14 verbesserte. Taiwans auf der Tour besonders im Doppel überzeugende Chen Szu-Yu kletterte von 26 auf 16 und steht damit sieben Plätze vor der besten Deutschen – und das ist nicht Han Ying, sondern eastside-Topspielerin Shan Xiaona auf Rang 23 (Dezember: 27). Han dagegen stürzte ab – für sie scheint das neue Modell alles andere als optimal zu sein. Von 13 ging es um sage und schreibe 19 Plätze zurück auf die Position 32. 

Gina Pota vor Ding Ning und Liu Shiwen

Freuen kann sich indes Berlins Ungarin Gina Pota, deren Fleiß und Ausdauer auf internationaler Bühne mit dem Sprung von 35 auf 20 belohnt wurden. Dass Ding Ning als 21. hinter Pota steht und Liu Shiwen gar nur 24. ist, darf man natürlich als ziemlich schlechten Witz bezeichnen – aber das ist eben nach dem neuen System korrekt ermittelt und darf von den genannten Chinesinnen als Aufforderung verstanden werden, 2018 international wieder aktiver zu werden, vorausgesetzt sie sind fit und verletzungsfrei, was zuletzt bei beiden nicht der Fall war. 

Das 16-jährige chinesische Toptalent Sun Yingsha, zwischenzeitlich auch schon bei T2APAC aktiv, wurde dagegen zum Opfer ihrer wenigen internationalen Auftritte und fiel nahezu unter den Tisch – im Dezember noch die Nummer 7, dümpelt sie nun an Position 52 (!) herum –, wahrscheinlich deutlich besser als mindestens 40 vor ihr platzierte Spielerinnen. 

Auch der zurzeit noch pausierenden Petrissa Solja mag die neue Weltrangliste nicht gefallen – bei ihr ging es steil nach unten, nämlich von 40 auf 70. Anders Nina Mittelham, die genügend Einsätze und auch ein paar ganz ordentliche Ergebnisse vorzuweisen hatte, was sie immerhin von Position 103 auf 76 führte. Damit ist die junge Bad Driburgerin Sabine Winter dicht auf den Pelz gerückt, die von 65 auf 72 zurückfiel. 

 

ITTF Weltranglisten Januar 2018 

Text & Fotos (2): Dr. Stephan Roscher