Dimitrij Ovtcharov krönt sich zum König von Magdeburg



Dimitrij Ovtcharov heißt der Sieger der German Open 2017. Der Weltranglisten-Dritte gewann am Sonntagnachmittag in der ausverkauften GETEC-Arena das Finale gegen seinen Freund und Nationalmannschaftskollegen Timo Boll in sieben spannenden Sätzen.

Beim 4:3 (9:11, 11:5, 11:9, 6:11, 11:7, 7:11, 11:6) des an drei gesetzten Ovtcharov im Endspiel der Seamaster 2017 World Tour Platinum German Open war für beide alles möglich, doch Boll glückte die Revanche für Lüttich und weitere Niederlagen in wichtigen Matches 2017 nicht. „Ich kann gar nicht fassen, was für einen Lauf ich im Augenblick habe“, sagte Ovtcharov zum neunten World-Tour-Erfolg seiner Karriere: „Das Turnier war für mich ein großes Erlebnis: Ich habe mein bestes Tischtennis zeigen können und so gut wie noch nie an zwei Tagen nacheinander gespielt.“

 

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Für den 29-jährigen Weltcup-Gewinner war es der dritte Erfolg bei den German Open (nach 2012 und 2014). Rekordsieger bleiben Timo Boll, Eberhard Schöler und Ma Long, die das hochrangige Event jeweils viermal gewinnen konnten. 

Im Damen-Finale schien zunächst die Weltranglisten-Erste Zhu Yuling einem sicheren Sieg entgegenzustreben. Im Duell der Gigantinnen gegen die Nummer zwei des ITTF-Rankings Chen Meng lag sie mit 2:0 und 3:1 Sätzen vorne, doch dann kippte das Match nach Chens 13:11 im fünften Durchgang und Zhu gelang am Ende nicht mehr viel. 

Im Herren-Doppel ging Gold an Südkorea. Das Match von Jeoung Youngsik/Lee Sangsu gegen die Japaner Tomokazu Harimoto/Yuto Kizukuri stand lange auf der Kippe. Mit 2:1 Sätzen lagen die jungen Japaner vorne, vergaben im vierten Durchgang Matchbälle und nutzten ihre greifbare Siegchance nicht. Enttäuschend das Abschneiden des hoch gehandelten Chinesen-Duos Fan Zhendong/Xu Xin, das im Viertelfinale ein ernüchterndes 0:3 gegen Harimoto/Kizukuri quittieren musste.

Klare Sache dagegen im Damen-Doppel. Das Taiwan-Duo Chen Szu-Yu/Cheng I-Ching hatte keine Chance gegen die Japanerinnen Hina Hayata/Miu Hirano. Die Überraschung war hier das frühe Ausscheiden der favorisierten Chinesinnen Chen Meng/Zhu Yuling, die bereits im Viertelfinale die Segel strichen. 

 

ALLE SPIELE DES FINALTAGES

Herren-Einzel

Finale
Dimitrij Ovtcharov GER – Timo Boll GER 4:3 (9:11, 11:5, 11:9, 6:11, 11:7, 7:11, 11:6)

Halbfinale
Dimitrij Ovtcharov GER – Fan Zhendong CHN 4:3 (13:11, 11:7, 7:11, 3:11, 11:9, 8:11, 15:13).
Timo Boll GER – Lee Sangsu KOR 4:0 (11:4, 11:9, 11:4, 11:9)

Damen-Einzel

Finale
Chen Meng CHN – Zhu Yuling CHN 4:3 (9:11, 8:11, 13:11, 9:11, 13:11, 11:9, 11:4)

Halbfinale
Zhu Yuling CHN – Kasumi Ishikawa JPN 4:1 (11:4, 12:10, 12:14, 11:5, 11:8)
Chen Meng CHN – Feng Yalan CHN 4:2 (10:12, 11:6, 11:4, 6:11, 15:13, 11:5)

Herren-Doppel

Finale
Jeoung Youngsik/Lee Sangsu KOR – Tomokazu Harimoto/Yuto Kizukuri JPN 3:2 (8:11, 3:11, 11:5, 16:14, 11:6)

Damen-Doppel

Finale
Hina Hayata/Miu Hirano JPN – Chen Szu-Yu/Cheng I-Ching TPE 3:0 (11:7, 11:8, 11:9) 

 

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Wachablösung? – Ein Kommentar 

Es bleibt das Fazit, dass Ovtcharov und Boll das zweite grandiose Turnier binnen drei Wochen gespielt haben und man den Titel des German-Open-Siegers eigentlich teilen müsste, den zwei großartige Sportler gleichermaßen verdient gehabt hätten. Doch nur einer konnte mit Gold dekoriert die Arena verlassen – und da war Dima, der natürlich mit dem Halbfinalsieg über Fan Zhendong Außerordentliches geleistet hatte, wieder einmal einen kleinen Tick voraus. Es schien auch, dass der Turniersieger, wie so oft, einen Schuss mehr Adrenalin mobilisieren konnte als der 36-jährige Odenwälder. 

Manche hatten geglaubt, dass Ovtcharov diesmal den Kürzeren ziehen würde, da sein Gegenüber das weitaus leichtere, kräfteschonendere Halbfinale hatte – doch es kam anders. Der Weltcup-Sieger schüttelte das Wahnsinnsmatch gegen Fan weg, als ob so etwas Alltagsroutine wäre, und präsentierte sich im Endspiel wieder topfit und auf den Punkt fokussiert. 

Magdeburg bleibt für ihn ein gutes Pflaster, gewann er doch dort bereits die German Open 2014, die allerdings nicht annähernd so stark besetzt waren wie das diesjährige Turnier, das ja einer Mini-Weltmeisterschaft gleichkam. Hier gewonnen zu haben gegen einen Timo Boll in der Form der Jahre 2002-2006 – ja man muss es tatsächlich so formulieren – ist schon eine Wahnsinns-Leistung. 

Und dann auch noch einer Phalanx hochkarätiger chinesischer Konkurrenten wie Fan Zhendong, Lin Gaoyuan, Xu Xin und Zhang Jike freundlich lächelnd die Rücklichter gezeigt zu haben, ist eine Demonstration und wird die Verantwortlichen des chinesischen Verbandes vermutlich nicht ruhig schlafen lassen. Wie ein Ovtcharov zudem mal eben im Spaziergang einen Yan An zerlegt hat, untermauert dies. Hinzu kommen Bolls World-Cup-Siege gegen Lin und vor allem Ma Long, die die Alarmglocken im Reich der Mitte schrillen lassen. 

Allerdings verfügen die Chinesen über genügend Talente für eine rechtzeitige Wachablösung der etablierten Nationalhelden, ganz im Gegensatz zum DTTB, der nach Boll und Ovtcharov niemanden in Sicht hat, der auf diesem hohen Niveau das Erbe antreten könnte. 

Doch es bleibt der überraschende Umstand, dass die beiden deutschen Ausnahmespieler in der zweiten Hälfte des Jahres 2017 elegant an weiten Teilen der scheinbaren chinesischen Übermacht vorbeigezogen sind – wie lange dieser Höhenflug anhält und wie dicht das außergewöhnliche Duo tatsächlich Ma Long auf die Pelle rücken kann, ist eine andere Frage. Doch Boll und Ovtcharov haben – und das konnten die begeisterten Fans in Magedeburg hautnah miterleben – den seit Jahrzehnten oft beschworenen und nie wirklich umgesetzten Tischtennis-Angriff auf das Reich der Mitte vollzogen, und zwar mit außerordentlich gut funktionierenden Zielfernrohren. 

Dies ist allerdings ein singuläres Phänomen im Herren-Tischtennis durch zwei Akteure, die außerhalb der Norm stehen, bei den Damen scheint die Entwicklung eher gegenläufig zu sein. Dort scheint sich alles noch mehr auf China zu konzentrieren – und wo die Chinesinnen einmal nicht ganz oben landen, sind es eben Spielerinnen aus Japan, das aus einem ganz anderen Talentpool schöpft als Deutschland und Europa. Auch diese Diskrepanz hat Magdeburg schonungslos offengelegt. 

So gesehen waren die German Open 2017 tatsächlich nicht nur ein Turnier der Superlative, sondern auch eine richtungsweisende “Mini-WM” von hohem Symbolwert. 

 

Unglaublicher Ball Timo Bolls im Viertelfinale der German Open

 

German Open 2017 auf der Webseite der ITTF

 

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Bericht, Kommentar & Fotos (5): Dr. Stephan Roscher

Video Boll: ITTF