EM 2015: Dimitrij Ovtcharov in besonderer Verantwortung



Auf den Schultern von Dimitrij Ovtcharov lastet einiges an zusätzlicher Verantwortung, wenn am Freitag im russischen Jekaterinburg der Startschuss zu den Tischtennis-Europameisterschaften 2015 fällt.

Mit den beiden deutschen Topstars in Normalform wäre der Mannschaftstitel, den man im Vorjahr – ohne den erkrankten Timo Boll – an Portugal verloren hatte, mehr als wahrscheinlich. Doch nun fehlt der Weltranglisten-Siebte erneut und wieder muss „Dima“ Ovtcharov als Führungsspieler und eindeutig bester Mann die Verantwortung im Teamwettbewerb schultern.

Der amtierende Einzel-Europameister hat mit Patrick Baum, Patrick Franziska, Ricardo Walther und Ruwen Filus zwar vier ambitionierte Mitspieler zur Seite, doch dürften diese, ohne ihnen zu nahe treten zu wollen, in einem solchen Wettbewerb mehr mit sich selbst beschäftigt sein. Sie sind allesamt durchaus zu imponierenden Leistungen fähig, wenn es rund läuft, doch weisen sie definitiv nicht die Führungsqualitäten eines Bolls oder Ovtcharovs auf.

So muss „Dima“ diesen Job weitgehend alleine schultern und die anderen mitreißen – und er ist bereit dazu als „the hunted one“, wie es so treffend auf der ITTF-Webseite heißt.

Es deutet einiges auf eine enge Angelegenheit hin und starke Konkurrenten stehen Gewehr bei Fuß, Europas Tischtennis-Riesen kalt zu erwischen. Für die mit Freitas, Apolonia, Geraldo und Monteiro stark besetzten Portugiesen wäre es ein toller Coup, der DTTB-Auswahl erneut den Titel aus den Händen zu reißen. Doch Dimitrij Ovtcharov ist zu allem entschlossen und gewillt, den doppelten Kraftakt zu stemmen. Der Weltranglisten-Fünfte möchte seinen Einzel-Titel verteidigen und zuvor das deutsche Herren-Team zurück auf den EM-Thron führen.

Eine leichte Aufgabe ist das nicht für den 27-Jährigen Spitzenspieler des Champions-League-Siegers Orenburg, zumal ihn schon seit Monaten immense Rückenprobleme plagen. „Teilweise musste ich starke Schmerzmittel nehmen”, räumt der European-Games-Sieger von Baku ein. Im Sommer absolvierte „Dima“ ein volles Programm. Er spielte in Chinas Superliga, glänzte in Baku und nahm an diversen weiteren Turnieren teil. Eine Woche Relaxen auf Mallorca – das war alles, was er sich gönnte. Er ist sich nicht sicher, ob das richtig war. „Drei Wochen Urlaub wären besser gewesen. Ich bin an meine Grenzen gestoßen”, so Ovtcharov.

Der in Kiew geborene Deutsche ist dennoch unmittelbar vor Turnierbeginn optimistisch: „Der Rücken ist momentan sehr viel besser als in Baku. Ich bin auf einem guten Weg.“ In Jekaterinburg zeigt sich der Ausnahmespieler bisher betont locker, etwa wenn er russischen Medienvertretern, für die er natürlich die Hauptperson des Events ist, gekonnt in deren Sprache Rede und Antwort steht. „Ich kann inzwischen Russisch fast so gut wie Deutsch sprechen”, erklärt „Dima“, für den diese EM ein halbes Heimspiel ist. Seine positive, lockere aber doch fokussierte Ausstrahlung könnte seine Mitspieler beflügeln, zumal der Mannschaftstitel – auch ohne Boll – unbedingt zurückerobert werden soll.

Nicht auszuschließen ist, dass wir den sympathischen Weltklassespieler eines nicht allzu fernen Tages wieder in der Bundesliga aufschlagen sehen: „Ganz ausschließen kann ich das nicht. Mein Vertrag in Orenburg läuft 2016 aus, dort verdiene ich allerdings gutes Geld.“ Doch das ist Musik von morgen, heute zählt ausschließlich die EM.

„Ich bin nicht in der Form von 2013. Damals haben wir auch ohne Timo den EM-Titel geholt. Daran sollten wir uns orientieren”, gibt Ovtcharov vor den richtungsweisenden Auftaktspielen gegen Polen und Spanien am Freitag zu Protokoll. Und Bundestrainer Jörg Roßkopf meint: „Timos Ausfall ändert nichts an unserer Zielsetzung. Wir wollen das Turnier gewinnen und müssen die neue Situation annehmen.“ Die 1:3-Pleite im EM-Finale 2014 gegen den damaligen Gastgeber Portugal ist noch immer in den Köpfen präsent. Diese Scharte soll nun ausgewetzt und damit die Pechssträhne der deutschen Herren-Auswahl in Mannschaftsturnieren seit einem Jahr beendet werden, in dem man von Krankheiten und Verletzungen gebeutelt nie die Top-Besetzung ins Rennen schicken konnte. Doch es könnte eine ganz enge Kiste werden und es bedarf zwingend der Führungsqualitäten des Dimitrij Ovtcharov, wenn das große Ziel erreicht werden soll. Dass er es kann, hat er oft genug bewiesen. DTTB-Sportdirektor Richard Prause warnt dennoch: „Der Titel ist kein Selbstläufer.“

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Das DTTB-Aufgebot

HERREN: Dimitrij Ovtcharov (Orenburg/Russland/27 Jahre/Weltrangliste: 5), Patrick Baum (Caen/Frankreich/28/31), Patrick Franziska (Düsseldorf/23/42), Ruwen Filus (Fulda-Maberzell/27/48), Steffen Mengel (Bergneustadt/27/49), Ricardo Walther (Bergneustadt/23/102)

Mannschaft: Ovtcharov, Baum, Franziska, Walther, Filus Einzel: Ovtcharov, Baum, Franziska, Walther, Filus, Mengel

Doppel: Filus/Walther, Baum/Franziska

Bundestrainer: Jörg Roßkopf

DAMEN: Han Ying (Tarnobrzeg/Polen/32/11), Shan Xiaona (Berlin/32/14), Petrissa Solja (Berlin/ 21/36), Irene Ivancan (Istanbul/Türkei/32/ 43), Sabine Winter (Kolbermoor/22/54)

Mannschaft: Han, Shan, Solja, Ivancan, Winter Einzel: Han, Shan, Solja, Ivancan, Winter

Doppel: Shan/Solja, Han/Ivancan

Bundestrainerin: Jie Schöpp