CHAMPIONS LEAGUE HERREN: Das Wunder von Düsseldorf



Die Chance für Borussia Düsseldorf, die Kohlen gegen Titelverteidiger Pontoise Cergy noch aus dem Feuer zu holen und ins Halbfinale der europäischen Königsklasse einzuziehen, waren vor dem Viertelfinal-Rückspiel am Freitagabend mit circa 20 Prozent beziffert worden. Doch am Ende eines begeisternden 190-Minuten-Fights auf Biegen und Brechen stand das Wunder von Düsseldorf.

Timo Boll, Panagiotis Gionis und Kamal Achanta gelang ein sensationeller 3:1-Triumph über die Topmannschaft aus Frankreich. Vor einer restlos begeisterten, großen Kulisse hatte das Trio in dem gleichermaßen hochklassigen, dramatischen und nervenaufreibenden Duell das 1:3 aus dem Hinspiel egalisiert und dabei einen Satz mehr gewonnen als Pontoise (17:16), der der Borussia den Einzug ins Halbfinale bescherte.

1.100 Zuschauer wurden Zeugen eines Spiels, das seinesgleichen sucht. „Ich habe schon viele große Spiele erlebt in meiner Zeit als Präsident der Borussia“, so Dr. Fritz Wienke, „aber das war heute eines der Besten überhaupt.“ Recht hat er. Denn das, was alle Akteure auf beiden Seiten boten, war ganz großes Tischtennis. Es stand viel auf dem Spiel, schließlich gehörten beide Teams zu den Anwärtern auf den Champions League-Thron und es war klar, dass für einen Verein der Traum heute enden würde.

Dass die Borussia den Traum weiterleben kann, ist einem Timo Boll in Topform, aber auch einer starken Mannschaftsleistung sowie einer Kulisse zu verdanken, die das Trio vom ersten Ballwechsel an nach vorne gepeitscht hat. Coach Danny Heister: „Ich bin sehr stolz auf diese Truppe, auch auf Patrick, der heute von der Bank aus alles gegeben hat. Sie hat einen Teamgeist, einen Zusammenhalt, der gerade in schwierigen Situationen wie nach dem Hinspiel erst richtig zum Tragen kommt. Die Jungs haben an sich geglaubt und haben ihre Chance gesehen. Sie wollten diesen Sieg unbedingt, und das war heute Abend ausschlaggebend. Unser Dank gilt aber auch diesen fantastischen Fans, die uns das ganze Spiel über nach vorne gepusht und unterstützt haben.“

Beide Trainer hatten sich für die gleiche Aufstellung wie im ersten Aufeinandertreffen gewählt. So sollte Timo Boll gegen Wang Jian Jun die Borussia in Front bringen. Nach einem nervösen Beginn legte Boll ab Durchgang zwei den Schalter um. Taktisch variabel, dynamisch und mit der nötigen Ruhe gewann er die Sätze zwei bis vier, zweimal sogar mit 11:2, und brachte die Borussia wie erhofft in Führung.

Panagiotis Gionis war es dann, der mit zwei gewonnenen Sätzen gegen Pontoise-Spitzenspieler Marcos Freitas die Borussia weiter im Spiel hielt und Kamal Achanta und Timo Boll die Möglichkeit eröffnete, das Wunder vom Staufenplatz zu vollbringen. 0:2 hatte er zurückgelegen, aber er kämpfte, er wollte sich nicht geschlagen geben. Und Gionis kam zurück. In Satz vier wehrte er vier Matchbälle ab und schaffte einen weiteren wichtigen Satzgewinn. Dass es am Ende nicht zum Sieg reichte, tat der Borussia zwar weh, schmerzte aber nicht so sehr, denn die Chance zum Sieg war weiterhin gegeben.

Die Hoffnungen ruhten nun auf Kamal Sharath Achanta, die Vorlage von Gionis zu nutzen. Und wie er diese nutzte. Mit einer überzeugenden Vorstellung besiegte er Kristian Karlsson, auch in der Deutlichkeit, hochverdient mit 3:0 und ebnete damit den Weg für Timo Boll, im „Endspiel“ gegen Marcos Freitas das Wunder perfekt machen zu können.

Umgekehrte Vorzeichen waren es nun im Vergleich zum Hinspiel, als Boll bei 1:2 in die Box musste. Vor Wochenfrist gewann Freitas das Topspiel, heute aber ließ ihm Boll zwei Sätze lang nicht den Hauch einer Chance. Auch der 1:2-Anschluss brachte den Düsseldorfer nicht aus der Ruhe. Er blieb fokussiert und konzentriert, er wollte diesen Sieg. Und Boll schaffte es, nach einem Fight über drei Stunden und 15 Minuten, den Lucky Punch zu setzen. Unter tosendem Beifall und stehenden Ovationen verwandelte Boll den Matchball zum Einzug ins Halbfinale nach einem intensiv geführten und hochklassigen Duell des Weltranglistenneunten gegen die Nummer zehn des ITTF-Rankings.

 

Stimmen zum Spiel

Manager Andreas Preuß: „Natürlich war das so was wie ein Wunder. Das gehört schon in die Kategorie „Levallois“ vor 24 Jahren [Anm.d.Red.: 1991 gewann die Borussia den Europapokal der Landesmeister nach einem 1:5 im Hinspiel durch einen 5:0-Erfolg im Rückspiel]. Sowas erlebt man nicht alle Tage. Ich habe der Mannschaft 5 % gegeben, aber sie haben alle aufopferungsvoll gekämpft. Pontoise hat auch stark gespielt und wir haben heute immerhin den Champions League Sieger geschlagen. Respekt vor dieser Mannschaft!“

Pontoise-Trainer Peter Franz: „Wir haben schon einen Krimi erwartet hier. Wir wussten, dass es schwer wird und Timo Boll immer zwei Punkte holen kann. Bei Düsseldorf waren heute alle in Topform und wir haben in den letzten beiden Spielen die Leistung nicht mehr so abrufen können. Für Düsseldorf war es heute auch sehr wichtig, dass Gionis so gut gespielt hat und Marcos so gefordert hat – er war dann gegen Boll schon ziemlich müde.“

Timo Boll: „Ein riesen Kompliment an unsere ganze Mannschaft. Ich glaube, wir waren alle total on fire und haben ein großes Spiel gemacht. Pontoise hat uns richtig gefordert, aber wir waren heute einfach gieriger und stehen verdient im Halbfinale.“

Kamal Sharath Achanta: „Ich kann im Moment gar nichts sagen… Ok, als Panos den vierten Satz gegen Freitas gewonnen hatte, habe ich mir gedacht: Ich muss dieses Spiel heute 3:0 gewinnen. Aber ich wollte nicht darüber nachdenken und das Spiel einfach gewinnen. Und ich habe echt gut gespielt und als ich neun Punkte hatte, dachte ich: Jetzt werde ich gewinnen, jetzt werde ich gewinnen – plötzlich stand es 10:10. Aber als ich am Ende gewonnen habe, hatte ich keine Kontrolle mehr über mich. Heute war das beste Comeback meines Lebens.“

 

Das Spiel im Überblick

Borussia Düsseldorf – AS Pontoise-Cergy TT 3:1

Timo Boll – Wang Jian Jun 3:1 (5:11, 11:2, 12:10, 11:2)

Panagiotis Gionis – Marcos Freitas 2:3 (9:11, 8:11, 11:7, 16:14, 5:11)

Kamal Achanta – Kristian Karlsson 3:0 (11:5, 11:8, 12:10)

Boll – Freitas 3:1 (11:5, 11:6, 7:11, 11:7) 

 

Hinspiel: AS Pontoise-Cergy TT – Borussia Düsseldorf 3:1 (11:6 Sätze)

Rückspiel: Borussia Düsseldorf – AS Pontoise-Cergy TT 3:1 (11:5 Sätze)

 

Im Halbfinale trifft die Borussia nun auf einen weiteren französischen Kontrahenten, auf Chartres ASTT mit Gao Ning, Gerell und Gardos, das den russischen Club UMMC mit zweimal 3:1 ausschaltete. Ohnehin sind jetzt nur noch Topteams in der Verlosung, folglich ist es fast egal, wer kommt.

Das andere Semifinale bestreiten Fakel Gazproma Orenburg und Weinviertel Niederösterreich. Das Team aus der Alpenrepublik besiegte den polnischen Meister Bogoria Grodzisk Mazowiecki wie schon im Hinspiel mit 3:1, während die Ovtcharov-Truppe das machte, was nach dem 3:0 im Hinspiel jeder erwartete, nämlich den anderen deutschen Vertreter 1. FC Saarbrücken TT auch im Rückspiel am Rande des Urals klar und deutlich abzufertigen. Alexey Smirnov besiegte Tiago Apolonia mit 3:1, „Dima“ Ovtcharov schlug Adrien Mattenet in vier Sätzen und der für Bojan Tokic angetretene Spielertrainer Slobodan Bobo“ Grujic hatte erwartungsgemäß gegen Vladimir Samsonov nicht den Hauch einer Chance.