WORLD CUP HERREN: Boll schlägt Ovtcharov, Arunas Siegeszug erst durch Zhang Jike gestoppt – ausführlicher Bericht vom zweiten Tag mit vielen Fotos



4.000 Zuschauer im Düsseldorfer ISS-Dome erlebten den zweiten Tag des LIEBHERR 2014 Men’s World Cup mit den Achtel- und Viertelfinals.

Hätte der Nigerianer Quadri Aruna, der schon am ersten Tag für eine faustdicke Überraschung gesorgt hatte, nicht die Fans erneut begeistert, ja regelrecht in Ekstase versetzt, wäre es sportlich gesehen ein eher langweiliger Tag geworden. Unter tollen Rahmenbedingungen in einer fantastischen Halle lief sonst nämlich alles „stinknormal“ ab und es setzten sich genau die durch, die man ohnehin vorne erwartet hatte.

Oder vielleicht doch nicht ganz, es gab eine weitere Ausnahme: In einem wenig prickelnden, die hohen Erwartungen nicht annähernd erfüllenden letzten Viertelfinalmatch gab Timo Boll seinem einen Tick höher eingeschätzten Landsmann Dimitrij Ovtcharov, der die letzten Duelle der DTTB-Giganten gewonnen hatte, klar das Nachsehen.

 

Boll fokussiert, Ovtcharov ausgelaugt

Der prominente Odenwälder war auf den Punkt topfit und extrem fokussiert, während man bei „Dima“ merkte, dass er nicht in Vollbesitz seiner Kräfte war und zudem einen arg bescheidenen Tag erwischt hatte – das kann passieren und wird ihn nicht entscheidend zurückwerfen. In diesem Sinne äußerte sich der 26-jährige Europameister und Olympiadritte später auch gegenüber den Medien: „Timo hat verdient gewonnen und war heute viel besser. Ich suche noch ein bisschen meine Form nach der langen China-Zeit, nach der Zahn-OP und den ganzen Rückschlägen, die ich in den letzten Wochen hatte. Da muss man einfach gegen Topspieler wie Timo die bessere Leistung liefern. Das konnte ich heute nicht schaffen. Aber mit hartem Training in nächster Zeit werde ich wieder gestärkt hervorgehen.“

Das DTTB-Duell, das eigentlich der Höhepunkt des 25. Oktober hätte werden sollen, wurde somit zum Langweiler, den weniger Zuschauer in der Halle live erlebten als das vorhergegangene Match zwischen Aruna und Zhang Jike – jedenfalls leerten sich schon nach dem ersten Satz nach und nach die Ränge. Vielleicht war es aber auch so, dass die Fans nach Arunas letztem Gala-Auftritt ebenso verausgabt waren wie die beiden DTTB-Hochkaräter in der Box, zumindest der eine von beiden.

Matsudaira und Freitas demontiert, Gionis überfordert

Was war sonst alles passiert? Im Achtelfinale hatte zunächst Ma Long mit dem Ex-Frickenhausener Kenta Matsudaira kurzen Prozess gemacht. Ein indisponierter Marcos Freitas ging anschließend im portugiesischen Duell gegen Tiago Apolonia baden, während der Ex-Werderaner Chuang Chih-Yuan seinen jüngeren Landsmann Chen Chien-An in sechs Durchgängen im Zaum hielt.

Jun Mizutani hatte den Düsseldorfer TTBL-Profi Panagiotis Gionis jederzeit im Griff, der allerdings besser als am ersten Tag spielte und – nachdem er realisiert hatte, dass mit reinem Defensivspiel dem Angriffswirbel des Japaners nicht zu beizukommen war – sein Heil in kontrollierter Offensive suchte. Damit konnte er zwei Sätze eng gestalten, doch insgesamt reicht das einfach nicht gegen die Nummer sieben der Welt.

„Dima“ gewinnt Krimi gegen Achanta, Boll lässt sich von Mattenet nicht düpieren

Dimitrij Ovtcharov musste gegen einen auf Augenhöhe agierenden Kamal Sharath Achanta, den er in keiner Phase des spannenden Matchs abschütteln konnte, alles geben, um in der Verlängerung des Entscheidungssatzes die Nase vorne zu haben. Timo Boll quälte sich gegen einen hochmotivierten Adrien Mattenet zwei Sätze lang sehr – man hatte sogar den Eindruck, dass der Weltranglistenneunte, hätte er auch den zweiten Satz gegen den hageren Brillenträger aus Frankreich verloren, schwer ins Straucheln geraten wäre. Hat er aber nicht. Nach seinem 15:13 fand Boll besser ins Match. Sein Blick signalisierte nicht länger Verzweiflung, während der kanariengelb bedresste Saarbrücker TTBL-Profi, der ein gutes Turnier spielte, zwar ackerte und um sein Leben rannte, jedoch die Bigpoints nicht machen konnte.

Aruna lässt Tang Peng verzweifeln

Im Anschluss brach das Aruna-Fieber im weiten Rund der schmucken Eishockey-Arena aus. Der Weltranglisten-73. knüpfte nahtlos an seine Auftritte der Gruppenphase an und verblüffte auch den Hongkong-Chinesen Tang Peng, aktuelle Nummer 16 der Welt, mit seinem Mix aus unbändigem Siegeswillen und teilweise eng am Körper gezogenen Topspins, die nicht aus dem Lehrbuch stammen, aber ungemein wuchtig, platziert und mit viel Spin auf der anderen Seite des Tischs einschlagen. Fast jeder Vorhandzieher des 1,77 Meter großen Afrika-Meisters führte zum Punkt, sofern er auf die Platte kam. Tang, gewiss kein Neuling in dem Geschäft, blickte ein ums andere Mal hilflos und verzweifelt gen Himmel – doch auch der wollte nicht helfen. Aruna siegte mit 7:11, 11:9, 12:10, 8:11, 11:9 und 11:3. Danach badete er in den Ovationen der neu gewonnenen Fans, die seinen Namen in Sprechchören skandierten, die später auch im Viertelfinale gegen Zhang – sogar nochmal einen Tick verstärkt – die Geräuschkulisse im ISS-Dome prägen sollten.

Zhang Jike soll unter die Haube

Nach dem Aruna-Auftritt wurden die Emotionen „brutalstmöglich“ gebremst, da mit dem einseitigen Match Zhang vs. Crisan ein echter Langweiler auf dem Programm stand. Der Rumäne versuchte zwar alles und der fahrig wirkende Chinese ließ ihn immer wieder herankommen, dennoch hatte man nie den Eindruck, dass ihm ernsthafte Gefahr vom Werder-Profi drohte. Immer wenn Zhang den Punkt wirklich benötigte, machte er ihn auch. Die lustigen, in pfiffiger Einheitsbekleidung aufgelaufenen chinesischen Fans waren zufrieden – und eine vielleicht 17-Jährige Landsfrau hielt dem Tischtennis-Giganten ein bunt ornamentiertes Transparent entgegen mit der Aufschrift „Marry me!“.

Apolonia von Ma zerlegt, Mizutani gegen Chuang obenauf

Das Viertelfinale eröffneten der bis dahin so überzeugende Tiago Apolonia und Ma Long. Der chinesische Weltranglistendritte, der vom Potenzial her eigentlich die Nummer eins sein müsste, spielte brutal gut und konnte jederzeit die Taktfrequenz erhöhen, während der sympathische Portugiese – einst in Ochsenhausen und seit zwei Jahren in Saarbrücken geschätzt und beliebt -, einfach an seine Grenze stieß und nach dem dritten Satz resignierte. Der letzte Durchgang wäre 11:0 ausgegangen, wenn Ma – großmütig und zugleich etwas überheblich wirkend – nicht beim Stand von 10:0 einen demonstrativen Fehlaufschlag inszeniert hätte.

Jun Mizutani bewies im Duell der Weltranglistennachbarn, dass er Chuang Chih-Yuan schon einen Tick voraus ist – der erste Satz ging allerdings an den 1,68 Meter kleinen Taiwanesen, der zwei weitere Durchgänge eng gestalten konnte. Ansonsten hatte der Linkshänder aus Japan das Sagen.

Nigeria vs. China 2:4, doch Aruna Sieger der Herzen

Es folgte das absolute Highlight des Tages mit einem gegen Zhang Jike nie aufsteckenden Quadri Aruna, der den ersten und vierten Satz für sich entschied und nie aufsteckte, was auch seinem deutschen Coach Martin Adomeit immer wieder Applaus und aufmunterndes Schulterklopfen während der Satzpausen und Auszeiten abnötigte. Bei jedem Punkt des während des gesamten Turniers in knallorange gekleideten Westafrikaners tobte die Halle. Am Ende ging dem Senkrechtstarter und Publikumsheld des World Cup 2014 zunehmend die Puste aus, auch wenn er – erkennbar dann mit letzten Kräften – bis zum letzten Ball biss und fightete. Man sieht, die Zuschauer wollen nicht unbedingt technisch perfektes, „aalglattes“ Tischtennis sehen, sondern Herzblut – und das hatte Aruna reichlich zu bieten. Das bestätigte auch Ex-DTTB-Damen-Bundestrainer Adomeit: „Quadri spielt unorthodox und kämpft bis zum Umfallen. Er hat immer wieder verblüffende Schläge auf Lager und gibt nie auf. Ihn bei diesem Turnier vor diesen tollen Fans zu coachen, hat riesig Spaß gemacht.“ Sein Schützling gab sich bescheiden: „Das war unglaublich! Ich war eigentlich schon stolz und zufrieden, bei einem solchen Turnier überhaupt mitspielen zu dürfen und habe nicht im Traum daran gedacht, am zweiten Tag überhaupt noch dabei zu sein. Es macht mich glücklich, dass ich gegen so starke Gegner gut mitspielen konnte und die Zuschauer mich so unterstützt haben.“


Den Tischtennis-Tag beendete das enttäuschende DTTB-Duell Boll vs. Ovtcharov, wobei nach dem Aruna-Auftritt eigentlich auch nichts mehr kommen konnte.

Kann Boll nochmals Tischtennis-Geschichte schreiben?

Vielleicht wird ja der Schlusstag mit den Entscheidungen nochmals prickelnder – sofern alle Beteiligten die Uhrenumstellung gut verkraftet haben. Timo Boll könnte für ein echtes Highlight sorgen, wenn es ihm gelänge, Weltmeister und Olympiasieger Zhang Jike aus dem Rennen um die 45.000-Dollar-Siegprämie zu werfen und selbst ins Finale einzuziehen. Vermutlich dann gegen Ma Long – es sei denn, der bislang sehr starke Weltranglistensiebte Jun Mizutani hätte etwas dagegen.

Traumhaft wäre es natürlich, wenn dem 33-jährigen Boll im Herbst seiner Karriere vor heimischer Kulisse der dritte Weltcup-Sieg nach 2002 und 2005 gelänge. Mutlos geht der bodenständige Hesse in Düsseldorfer Diensten nicht ins Semifinale gegen seinen diesjährigen Teamkollegen aus der Chinese Super League: „Zhang hat auch schon mal Tage, an denen es nicht so gut läuft und wo er sich nicht so quälen kann.“ Man wird sehen, ob Boll nochmal genügend Reserven entfalten kann, um gleich zwei Top-Chinesen am Stück die Suppe zu versalzen, immer vorausgesetzt, dass Mizutani da nicht auch noch ein Wörtchen mitredet.

Die Halbfinals beginnen am Sonntag um 11.30 Uhr – zunächst steigen Mizutani und Ma in den Ring. Sie sind im Livestream bei www.ittf.com/ittv/ zu sehen. Das für 15:45 Uhr angesetzte Finale wird live auf Eurosport gezeigt. Die Zuschauer – mit Ausnahme der 100-köpfigen Fangruppe aus dem Reich der Mitte, die im ISS-Dome erneut für gute Stimmung sorgen dürfte – hoffen, dass es kein reines China-Duell wird.

 

LIEBHERR Men’s World Cup 2014

Achtelfinale am Samstag
Ma Long CHN – Kenta Matsudaira JPN 4:0 (6,4,4,2)

Marcos Freitas POR – Tiago Apolonia POR 0:4 (-6,-9,-2,-5)

Chuang Chih-Yuan TPE – Chen Chien-An TPE 4:2 (8,3,-3,-9,8,10) 

Jun Mizutani JPN – Panagiotis Gionis GRE 4:0 (2,10,11,3)

Dimitrij Ovtcharov GER – Kamal Achanta IND 4:3 (-9,7,6,-8,5,-11,10)

Timo Boll GER – Adrien Mattenet FRA 4:1 (-9,13,7,9,9)

Tang Peng HKG – Quadri Aruna NGR 2:4 (7,-9,-10,-8,9,-3)

Zhang Jike CHN – Adrian Crisan ROU 4:0 (8,9,11,8)

 

Viertelfinale am Samstag

Ma Long CHN – Tiago Apolonia POR 4:0 (10,8,6,1)
Jun Mizutani JPN – Chuang Chih-Yuan TPE 4:1 (-5,11,6,6,13)
Timo Boll GER – Dimitrij Ovtcharov GER 4:0 (8,8,5,1)
Zhang Jike CHN – Quadri Aruna NIG 4:2 (-6,7,4,7,-8,8)

 

Halbfinale am Sonntag
11.30 Uhr: Ma Long CHN – Jun Mizutani JPN
12.15 Uhr: Timo Boll GER – Zhang Jike CHN

15.00 Uhr: Spiel um Platz drei
15.45 Uhr: Finale

 

Vorrunde am Freitag

Gruppe 1
1. Tiago Apolonia POR 2:0 Spiele
2. Sharath Kamal Achanta IND 1:1
3. Cazuo Matsumoto BRA 0:2

Apolonia – Matsumoto 4:1 (7,-14,9,9,8)
Apolonia – Achanta 4:0 (5,7,10,10)
Achanta – Matsumoto 4:1 (8,-5,9,10,10)

Gruppe 2
1. Adrien Mattenet FRA 2:0
2. Panagiotis Gionis GRE 1:1
3. William Henzell AUS 0:2

Gionis – Henzell 4:0 (9,8,8,8)
Gionis – Mattenet 0:4 (-5,-5,-8,-7)
Mattenet – Henzell 4:3 (7,-12,10,-8,10,-4,6) 

Gruppe 3
1. Chen Chien-An TPE 2:0
2. Adrian Crisan ROU 1:1
3. Kanak Jha USA 0:2

Chen – Jha 4:1 (-13,6,5,2,6)
Chen – Crisan 4:3 (-7,-8,-9,6,11,11,8)
Crisan – Jha 4:0 (8,8,4,9)

Gruppe 4
1. Quadri Aruna NIG 2:0
2. Kenta Matsudaira JPN 1:1
3. Alexander Shibaev RUS 0:2

Matsudaira – Aruna 2:4 (-3,7,-6,5,-2,-11)
Matsudaira – Shibaev 4:1 (-5,12,8,11,8)
Shibaev – Aruna 0:4 (-6,-7,-4,-8)

 

LIEBHERR 2014 Men’s World Cup auf der Webseite der ITTF

 

LIEBHERR World Cup 2014 Berichterstattung bei TT-NEWS - unterstützt von DONIC